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JedeM seine/ihre Mary Poppins

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Vorhin hab ich einen Kommentar im Standard gelesen, den ich ganz toll fand. Er weist darauf hin, dass das Skandalisieren von Problemen im Pflege-Bereich (aktuell: Hebammen) eigentlich zu kurz greift, die Krise liegt tiefer: Frauen sollen unter- oder unbezahlt Versorgungsarbeit leisten, eine Organisations- oder Aufgabenprivatisierung des Staates in dem Bereich zwingt Frauen zurück an den Herd, ans Krankenbett, ans Maxi-Cosi.

Ich hab für ein VSStÖ-Seminar mal ne (schlecht animierte) Prezi dazu gemacht und ungefähr ein Gigabyte Material dazu gesammelt – wer Bedarf hat, einfach mailen.

Gedanken hab ich mir natürlich auch gemacht, vor allem über folgende Frage:

Sind Leute, zu denen einmal die Woche eine Reinigungskraft kommt, schlechte Menschen?

Pragmatisch würd ich ein einfaches Kriterium dafür vorschlagen: Sind die Reinigungskräfte voll versichert und ist ihr Gehalt in Ordnung? Wenn ja, dann find ich das nicht verwerflich. Wenn nein, dann eher schon. Auch bei voll versicherten Reinigungskräften bleibt natürlich das grundlegende Problem ungelöst: weibliche, oft schlecht ausgebildete und meist migrantische Arbeitskräfte übernehmen Versorgungsarbeit, die völlig frei von Prestige und Karrieremöglichkeiten ist. Unsere Mütter und Großmütter haben das aber auch gemacht. Und kein Geld dafür bekommen (Sie machen es auch heute noch. Wer ist die billigste Babysitterin der Welt? Genau, die aufopferungsvolle gratis-(Schwieger)Mama). Bezahlt kann diese Arbeit aber zur Unabhängigkeit von Frauen beitragen.

Noch komplizierter wirds bei anderen Fällen. Beispiel: Eine migrantische Frau in Österreich ohne Aufenthaltsgenehmigung versucht zu überleben. Sie putzt bei wohlhabenden weißen Paaren und verdient dafür ein paar Euro schwarz – wie denn auch sonst. Den Markt gibt es, und einen Hauch von Win-Win-Situation kann mensch hier auch nicht verleugnen. Klar kann mensch das Asylrecht kritisieren, prekäre Arbeit ablehen und so weiter. Die Möglichkeit zur informellen Arbeit hilft der Migrantin aber trotzdem, wenn sie ihre Lebensbedingungen dadurch verbessern kann. Eine einfaches Richtig und Falsch gibt es hier einfach nicht.

Faule Staaten.

Allerdings haben einige Staaten mittlerweile diese Versorgungskette als gute Möglichkeit entdeckt, sich ihren Verfplichtungen in der Daseinsvorsorge zu entziehen. Beispiel Italien: Hier gibt es fast keine SeniorInnenheime oder öffentliche Pflegedienste, dafür ungebundene finanzielle Pflegezuschüsse (Pflegegeld), das nach Gutdünken auch in informelle Pflegearbeit gesteckt werden kann. Ohne illegale ArbeiterInnen würde die Altenpflege in Italien sofort den Bach runter gehen. Die Pflegerinnen selbst schicken das Geld meist nach Hause, leben bei den Familien, sprechen kaum Italienisch und haben keine Chance, am formellen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Und die Kirche übernimmt manchmal die Rolle als Vermittlerin dieser “Perlen”. Der Staat sieht zu und amnestiert immer wieder die Beteiligten, für ihn ist das am billigsten.

Diese Perversität in der Behandlung von Migrantinnen ist kaum zu überbieten: Einerseits alle am liebsten sofort abschieben wollen und das von allen Kirchtürmen brüllen, andererseits genau zu wissen, dass es ohne sie nicht mehr geht – wer kümmert sich denn sonst um den bettlägrigen Opa? Na das können die SlowenInnen besonders gut, die haben das im Blut. Solche rassistischen Diskurse weben sich hier immer wieder ein. Im übrigen haben sich mittlerweile auch Staaten die Pflegekräfte exportieren (z.B. Philippinen) dem globalen Versorgungsmarkt angepasst: Dort werden Menschen gezielt als PflegerInnen ausgebildet, um später ins Ausland zu gehen und Devisen zurück zu schicken.

öffentliche Infrastruktur…

Die einzige, aber auch wirklich einzige Möglichkeit, sinnvoll mit Versorungsarbeit umzugehen, ist die öffentliche Bereitstellung der Dienstleistungen. Es braucht genügend mobile Pflegedienste, SeniorInnenheime, Kinderbetreuung für alle Altersstufen, Schulkantinen, die vom Staat bereit gestellt werden. Denn auch der Staat, die OECD, die EU und wer auch immer sonst kann nicht auf der einen Seite eine höhere Frauenerwerbsbeteiligung fordern, und auf der anderen Seite Frauen durch die Rahmenbedingungen (Stichwort: Sparen, bis es quietscht) an den Haushalt ketten. Da muss ma sich irgendwann entscheiden.

… und Arbeitszeitverkürzung. Und dann werden wirs ja sehen.

Einige Versorgungsarbeiten wirds aber immer geben, die der Staat nicht übernehmen kann. Das Klo werden wir uns weiterhin selber putzen müssen. Auch die Unterhosen bringen DurchschnittsverdienerInnen wohl nicht in die Reinigung. Trotzdem scheint es manchmal schon zu viel verlangt, den eigenen Dreck wegzuräumen. Qua gender pay gap geht dann halt mal die Frau Teilzeit arbeiten, weil es sich sonst einfach nicht ausgeht.Irgendwann handeln wir alle nach ökonomischen Zwängen, das ist auch keineM vorzuwerfen. Ich glaube ja, Arbeitszeitverkürzung würde hier die einzige sinnvolle Lösung sein. Und gerade (pro-)feministischen Paare ein wenig auf die Probe stellen – wenn beide 30 Stunden arbeiten, wer putzt dann die Toilette? Wieder Mary Poppins, damit wir uns nicht mehr darüber streiten müssen?

PS: Auch auf die Gefahr hin, mich hier unbeliebt zu machen: Ich glaube Pflegegeld ist nicht die beste sozialpolitische Idee. Lieber SeniorInnenheime und mobile Pflegedienste (viel, viel mehr mobile Pflegedienste). Das schafft öffentliche Jobs, die im Gegensatz zur informellen Pflegearbeit zur Sozialversicherung beitragen. Weniger Loch in der SV-Kassa, weniger Frauen ohne Pensionsanspruch, weniger Schwarzarbeit, mehr Steuern für den Staat.



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